„Du heißt Nguyễn? Ich kenne auch ein paar Leute, die so heißen – seid ihr verwandt?“
Diese Frage bekommen viele Vietnames:innen regelmäßig gestellt, wenn sie sich vorstellen. Und die Antwort lautet fast immer: Nein, verwandt sind wir nicht, auch wenn wir denselben Nachnamen tragen. Das mag für Außenstehende überraschend sein, schließlich verbindet man einen gemeinsamen Familiennamen in Europa meist mit einer tatsächlichen Verwandtschaft. Doch in Vietnam ist das anders.
Dort tragen rund 35 bis 40 Prozent der Bevölkerung den Nachnamen Nguyễn – also mehr als ein Drittel des Landes! Damit ist er mit Abstand der häufigste Nachname Vietnams und begegnet einem auch in der vietnamesischen Diaspora auf der ganzen Welt. Aber warum ist das so? Wie kommt es, dass Millionen Menschen denselben Namen tragen, ohne miteinander verwandt zu sein?
Genau darauf werfen wir jetzt einen genaueren Blick.
Die Rolle der Dynastien
Um zu verstehen, warum der Nachname Nguyễn in Vietnam so weit verbreitet ist, muss man in die Geschichte des Landes eintauchen. Der Ursprung des Namens liegt in einer alten vietnamesischen Adelsfamilie. Schon früh tauchte Nguyễn als Familienname im Raum Nordvietnam auf, doch seine wahre Bedeutung gewann er erst viele Jahrhunderte später – mit der Gründung der Nguyễn-Dynastie.
Diese Dynastie herrschte von 1802 bis 1945 über das gesamte Land und war die letzte kaiserliche Herrscherfamilie Vietnams. Ihr erster Kaiser, Gia Long, vereinte nach langen Bürgerkriegen das Land und begründete eine Epoche, die mehr als 140 Jahre Bestand hatte. Die Nguyễn-Kaiser residierten in der berühmten Kaiserstadt Huế und prägten die politische und kulturelle Entwicklung Vietnams nachhaltig.
Wie in vielen anderen asiatischen Kulturen war es üblich, dass Untertanen, Beamte oder auch ganze Dorfgemeinschaften den Namen der herrschenden Familie übernahmen. Das hatte mehrere Gründe: Einerseits zeigte man damit Loyalität und Unterordnung gegenüber dem Kaiserhaus. Andererseits konnte ein solcher Namenswechsel ganz praktische Vorteile bringen – etwa bessere Chancen im Staatsdienst oder Schutz vor Misstrauen. Wer denselben Namen wie der Herrscher trug, galt weniger als Gegner oder potenzieller Aufrührer.
Auf diese Weise breitete sich der Name Nguyễn in wenigen Generationen rasant aus und entwickelte sich zu dem dominierenden Familiennamen, den wir heute kennen.
Typische Familiennamen in Vietnam neben Nguyễn
Auch wenn Nguyễn mit Abstand der häufigste Nachname ist, gibt es in Vietnam noch weitere sehr verbreitete Familiennamen. Zusammen mit Nguyễn decken die zehn populärsten Nachnamen fast 90 % der Bevölkerung ab. Dazu gehören unter anderem:
- Trần – etwa 11 %
- Lê – etwa 9 %
- Phạm – etwa 7 %
- Huỳnh / Hoàng – etwa 5 %
- Phan – etwa 5 %
- Vũ / Võ – etwa 3–4 %
- Đặng, Bùi, Đỗ, Hồ, Ngô – jeweils ca. 2–3 %
Diese Konzentration hat historische Gründe: Fast alle dieser Namen gehen auf mächtige Herrscherfamilien oder einflussreiche Clans zurück. So trägt ein Großteil der Vietnamesen einen dieser wenigen Nachnamen, auch wenn zwischen den Namensträgern keinerlei Verwandtschaft besteht.
Historische Bezüge und Einflüsse vietnamesischer Familiennamen
Viele der typischen vietnamesischen Nachnamen lassen sich direkt auf bedeutende Herrscherfamilien und historische Ereignisse zurückführen. Trần etwa geht auf die Trần-Dynastie (1225–1400) zurück, die Vietnam erfolgreich gegen die Mongolen verteidigte. Lê wiederum ist eng verbunden mit der Lê-Dynastie (1428–1789), die eine lange Blütezeit, aber auch innere Konflikte brachte. Auch Hồ ist geschichtlich markant: Hồ Quý Ly, der Begründer der kurzen Hồ-Dynastie, führte im 15. Jahrhundert Reformen ein, bevor seine Herrschaft von den Ming gestürzt wurde.
Andere Namen wie Phạm oder Phan stammen aus mächtigen Gelehrten- und Beamtenfamilien, die den Verwaltungsapparat prägten. Huỳnh/Hoàng und Vũ/Võ haben regionale Schreibvarianten, die aus Sprachunterschieden zwischen Nord- und Südvietnam entstanden sind.
Diese enge Verbindung von Nachnamen zu Dynastien und Machteliten erklärt, warum so wenige Familiennamen bis heute so dominant geblieben sind – sie spiegeln Vietnams politische Geschichte direkt wider.
Familiennamen erleben auf einer Rundreise durch Vietnam
Wer eine Rundreise durch Vietnam unternimmt, begegnet dem Phänomen der vietnamesischen Familiennamen auf Schritt und Tritt. In den geschäftigen Straßen von Hanoi finden sich zahllose Geschäfte, Restaurants und Praxisschilder mit dem Namen Nguyễn. In Zentralvietnam, insbesondere in Huế, der alten Kaiserstadt der Nguyễn-Dynastie, wird Geschichte lebendig: Paläste, Tempel und Gräber erinnern noch heute an die mächtige Herrscherfamilie, deren Name so viele Menschen tragen.
Auch im Süden, etwa in Ho-Chi-Minh-Stadt oder im Mekong-Delta, stößt man überall auf die bekannten Namen wie Trần, Lê oder Phạm – nicht nur auf Schildern, sondern auch im direkten Kontakt mit den Menschen. Gerade diese Alltagsbegegnungen machen eine Rundreise besonders spannend: Man versteht, dass ein Name in Vietnam nicht nur ein persönliches Kennzeichen ist, sondern auch ein Stück Geschichte und Kultur widerspiegelt.
So wird eine Vietnamreise schnell auch zu einer Entdeckungsreise in die Vergangenheit – und die Familiennamen sind dabei wie ein roter Faden durch die Jahrhunderte.
Hoher Wiederkennungswert als Name
Der Name Nguyễn ist weit mehr als ein bloßer Familienname – er ist ein Spiegel vietnamesischer Geschichte. Dynastien, Machtwechsel und gesellschaftliche Umbrüche haben dazu geführt, dass Millionen Menschen denselben Nachnamen tragen, ohne miteinander verwandt zu sein. Wer Vietnam bereist, erkennt schnell, wie eng Namen und Kultur miteinander verbunden sind: Von den Kaiserstädten im Zentrum bis zu den Straßenschildern im Süden erzählen die häufigsten Familiennamen vom historischen Erbe des Landes. So ist Nguyễn nicht nur der am weitesten verbreitete Nachname Vietnams, sondern auch ein lebendiger Teil seiner Identität.